Liebe und Ehe aus Sicht der Orthodoxen Kirche

Artikel SE Arsenios, des griechisch-orthodoxen Metropoliten von Austria.

Die orthodoxe Position über Liebe und Ehe schließt mit Entschiedenheit und unzweifelhaftem Willen an die Idee der Menschenrechte an, wie sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1948 proklamiert wurden und welche sich allmählich zur Grundlage eines sogenannten „Weltethos“¹ entwickelt haben.

Die Menschenrechte, wie sie heute als Rechte von allgemeiner Gültigkeit verstanden werden, haben als Grundlage die Menschenwürde, eine Idee, welche sowohl in der biblischen als auch in der patristischen Tradition tief verwurzelt ist.

Die Menschenwürde hängt mit nichts Anderem unmittelbarer als mit der Tatsache zusammen, dass allein der Mensch nach dem Bild und Gleichnis Gottes erschaffen ist.²Ich möchte hier den von dem berühmten Theologen Claus Westermann angeführten Kommentar zu  der betreffenden Bibelstelle wörtlich zitieren: „Damit ist dem Menschen eine Würde verliehen, die in seinem Geschaffensein von Gott begründet ist. Dabei ist wohl zu beachten, dass die Gottebenbildlichkeit nicht etwa dem Menschengeschöpf noch dazu verliehen wird; sie ist explikativ gemeint: damit, dass der Mensch von Gott geschaffen ist, ist er zu Gottes Ebenbild geschaffen. Diese dem Menschen mit seinem Geschaffensein verliehene Würde ist vollkommen unabhängig von allen möglichen Unterschieden zwischen Menschengruppen, von völkischen, religiösen, rassischen und sozialen Unterschieden. Sie eignet dem Menschen jenseits aller dieser Differenzierungen.“³

Die Stelle aus Gen 1,26 mit der Schlussformel „lasset uns Menschen machen“ hebt die Erschaffung des Menschen aus dem übrigen Schöpfungswerk heraus und weist auf die Besonderheit  der menschlichen Existenz hin. Der Mensch wird dabei nicht das kontingente Produkt einer unpersönlichen Schicksalsmacht, sondern das Ergebnis einer lebendigen Person, einer Intention, eines freien Entschlusses. All das macht als Konsequenz nicht nur den personalen Gott aus, sondern auch den Menschen, worin er sich vom Rest der Schöpfung unterscheidet.

Wenn man das besondere Verhältnis Gottes zum Menschen als ein Gemeinschaftsverhältnis auslegt, dann wird noch deutlicher, dass alles, was ein solches Verhältnis stören würde, a priori verwerflich und unheilig ist. Jeder Mensch hat als persönliches Werk Gottes das Recht auf ein persönliches Verhältnis zu seinem Schöpfer, was natürlich noch offensichtlicher macht, dass jede Art von Diskriminierung eines Mitmenschen vor allem das Verhältnis Gottes zu diesem Mitmenschen berührt. Fazit: Alle Menschen sind gleich, weil alle von dem einen Schöpfer und unter denselben Bedingungen, d. h. aus dem Nicht-Seienden (creatio ex nihilo), geschaffen sind.

Die alttestamentliche Konzeption über die Würde aller Menschen und deren Gleichheit vor Gott setzt sich im Neuen Testament weiter fort: „Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind alle Sünder und haben die Herrlichkeit (δόξα) verloren, die Gott ihnen zugedacht hat, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist(...) Ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude oder Grieche, hier ist nicht Sklave oder Freier, hier ist nicht Mann oder Frau. Denn ihr seid alle Einer in Christus Jesus.“

Diese Vorstellung von einer besonderen Würde, die allen Menschen zukommt und die alle Menschen unabhängig von ethnischer Herkunft oder sozialer und rechtlicher Stellung teilen, gehört auch zu den Grundlagen der Ethik der Väter der Kirche. In der Auslegung von Mt 25, 31-46 (insbesondere 25, 40) verwahrt sich der heilige Johannes Chrysostomos gegen eine Begrenzung christlicher Hilfe auf die christlichen Brüder unter Hinweis auf die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen und die gemeinsame Teilhabe an der menschlichen Natur. Deutlich wird diese gemeinsame Natur zum Bezugspunkt für die Gleichheit aller Menschen auf universaler Ebene: „Denn die Gnade ist auf alle ausgegossen und verschmäht nicht Juden, Griechen, Barbaren, Skythen, nicht den Freien, den Sklaven, Männer, Frauen, den Alten und den Jungen. Alle werden auf gleiche Weise zugelassen und eingeladen nach Maßgabe gleicher Würde.“

Der bewusste Respekt für die Würde (dignitas) jeder menschlichen Person zeigt sich nach Johannes Chrysostomos vor allem in der Liebe für den Nächsten (πλησίον), und selbst für den Feind, nicht nur durch Worte, sondern durch Taten. Dieser Ausdruck von Liebe sei Anfang und Ende der Tugend. Die Liebe zum Mitmenschen stellt auch in neuerer Zeit bei dem berühmten Schweizer Pädagogen J. Pestalozzi den Kernpunkt des pädagogischen Systems dar: „Liebe, und eine mit Liebe im Kinde entquellende Geistestätigkeit sind also offenbar der gemeinschaftliche positive und unveränderliche Anfangspunkt, von welchem die Entwicklung aller Anlagen zu unserer Veredlung ausgeht und ausgehen muss.“

Wenn die Liebe zum Mitmenschen die Quintessenz der christlichen Ethik ist, dann ist jeder Christ, und vor allem die Kirche verpflichtet, jede Entscheidung dieses Mitmenschen in Hinsicht auf die Gestaltung seines Lebens oder seiner sexuellen Vorlieben völlig zu respektieren, weil die Kirche einfach das von Anfang an dem Menschen von Gott angelegte Geschenk respektiert, nämlich sich frei für die eine oder die andere Alternative zu entscheiden. Gott machte den Menschen bei der Schöpfung zum Herrn über das Gute oder das vom Guten Abweichende und unterstellte alles der eigenen Meinung, der freien Entscheidung und dem eigenen Willen des Menschen.

Die Kirche nimmt nach der orthodoxen Auffassung also aus tiefster Überzeugung jeden Menschen, unabhängig von seiner Stellung innerhalb der Gesellschaft oder seiner sexuellen Präferenz und Orientierung in ihrem Schoß auf. Sie tut es nicht aus Zwang, sondern aus freiem Willen und echter Liebe zum Mitmenschen, weil sie glaubt, dass jeder Mensch, also auch derjenige, der sich für eine andere Form der Sexualität als die von Natur aus dem Menschen zugedachte entschieden hat, den vollen Respekt und Achtung als Gottes persönliches Geschöpf genießen muss. Die Kirche freut sich sogar und muss sich über diejenigen Menschen freuen, die sich trotz ihrer sexuellen Vorlieben, welche nicht dem traditionell von der Kirche vertretenen Vorbild entsprechen, in vielen Bereichen des Lebens, wie z. B. in der Kunst, der Wissenschaft oder der Politik auszeichnen und durch ihre Lebensweise das Gute zu tun versuchen.

Die Orthodoxe Kirche präsentiert ein christliches Lebensmodell, das auf dem Evangelium und seiner Lehre gründet. Diese Lebensweise ist eine Idealvorstellung, der man freiwillig nachfolgen kann oder eben auch nicht. Eine von dieser Idealvorstellung abweichende Lebensweise wird von der Kirche respektiert, aber stimmt nicht mit ihrer Lehre überein. Diese abweichenden Lebensweisen können nicht als mit der orthodoxen Vorstellung von der Heiligkeit der Eheschließung zwischen Mann und Frau gleichrangig betrachtet werden.

Die christliche Vorstellung für die höchste und vollständige Form des „Mit-einander-Seins“, des „Einander-leiblich und seelischen-Begegnens“ ist nach dem Glauben der Kirche nur in der liebenden, von Gott gesegneten Verbindung zwischen Mann und Frau zu sehen. Das ist, was Ehe in ihrem Kern bedeutet:  Die von Gott gesegnete freiwillige Verbindung von Mann und Frau, mit dem Ziel, sich gegenseitig zu erfüllen und mit der Potenzialität, Kinder zu zeugen, d. h. neue Menschen mit dem Segen und der Hilfe Gottes ins Sein zu bringen und später der Gesellschaft zu übergeben.

In der christlichen Vorstellung von Ehe und Familie hängen beide Begriffe unmittelbar mit der Verbindung zwischen Mann und Frau zusammen. Warum? Weil das die Lehre der Bibel, des Evangeliums Jesu Christi, die Lehre der heiligen Väter ist: „Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“.Das ist die Quintessenz des Einander-Erfüllens / Voneinander-Erfüllt-Seins. Jede Abschweifung von der von Gott gegebenen und bestimmten Art von Beziehung zwischen Mann und Frau wird deutlich in der Bibel abgelehnt. Johannes Chrysostomos unterstreicht die Wichtigkeit der Vereinigung zwischen Mann und Frau als „echte Lust“, die den Bedingungen der Natur entspricht.¹⁰

 Die Ehe hat dem christlichen Verständnis nach einen sehr wichtigen sakramentalen Charakter: „Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst. Denn niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es, wie auch der Christus die Gemeinde. Denn wir sind Glieder seines Leibes. Deswegen wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Dieses Geheimnis ist groß, ich aber deute es auf Christus und die Gemeinde.“¹¹

An dieser Stelle findet die Heiligkeit der Institution der Ehe und des familiären Lebens als Grundstein, auf dem sich die heilige Beziehung der Ehepartner stützt, ihre Begründung. In dem Ehebund erhält jedes Glied, der Mann und die Frau, seine existentielle Fülle unter der unabdingbaren Voraussetzung, dass sie die Ehe- und Hausgemeinschaft auf die Liebe und Hingabe (ἀγάπη) gründen. Nicht nur das Begehren (ἔρως) schafft die Ehegemeinschaft, sondern die Liebe, das Sich-für-den-Anderen-Opfern (θυσία), für den Anderen zu jeder Zeit – sei es eine günstige oder eine schwierige – da zu sein. Die Familie ist wiederum das organische Zentrum zur Verwirklichung der Liebe (ἀγάπη), die alle Gemeinschaft trägt.

Quelle und Maß aller menschlichen Liebe (ἀγάπη) ist im Neuen Testament die Gottesliebe. Der Epheserbrief führt diesen Gedanken weiter aus: das Vorbild aller ehelichen Liebe ist dem Christen die Liebe Christi zu seiner Gemeinde. Wie sich Christus als Haupt der Kirche für sie opfert und durch sein  Opfer deren Heil erfolgt, genau so führt der Mann seine Frau als deren Haupt auf geheimnisvolle Weise zum Heil, da sie etwas aus seinem Dasein ist. In der christlichen Ehe zwischen Mann und Frau spiegelt sich die geheimnisvolle Bindung zwischen Christus und seine Kirche wider. Der Mann ist das Abbild des Bräutigams Christus und sieht in der Person seiner Frau die Kirche als Braut. Diese Vorstellung von Christus als dem Ehe-Herrn liegt der Haustafel des Epheserbriefs zugrunde. In Eph. 5, 31 ist der Gedanke typologisch zu Ende gedacht, das Genesiswort vom Drange des Mannes zur Frau und der Vereinigung (Henosis) der Ehegatten wird als ein „großes Geheimnis“ erklärt und auf Christus und die Kirche bezogen. Diese typologische Deutung des Verhältnisses zwischen Mann und Frau und dessen Zurückführen auf das Verhältnis zwischen Christus und der Kirche ist bei berühmten hochgelehrten Kirchenvätern, wie z. B. bei dem heiligem Gregor von Nyssa, vorzufinden.

In dem berühmtesten seiner hermeneutischen Werke, der Auslegung des Hoheliedes der Liebe, wird der erotische Drang der menschlichen Seele zu Christus dem erotischen Drang einer Braut zum ihrem Bräutigam gegenübergestellt. Der erotische Drang des  zu Gott emporstrebenden Menschen wird immer mit zwei Objekten unterschiedlichen Geschlechts in Zusammenhang gebracht. Wie jeder Bräutigam zieht Christus seine Braut (die menschliche Seele) zu einem endlosen Liebesverhältnis heran, und die Braut erwidert die Gefühle ihres Bräutigams, indem sie sich auf ein endloses Streben nach ihm einlässt. Die zum eigentlichen Guten und Schönen schauende Seele findet in ihm immer wieder etwas Neueres und noch Wunderbares: „Es kommt niemals zu einem Stillstand im Verlangen nach dem Schauen, weil das in Aussicht Stehende bestimmt großartiger und göttlicher als das bereits Gesehene ist.“ Deshalb hört die Braut in ihrer Bewunderung und in Ihrem Erstaunen nicht auf, weiter nach ihm zu streben, und dies hat kein Ende.¹²

In der Auslegung des Hoheliedes der Liebe durch berühmte Väter der Kirche (Origenes, Gregor von Nyssa) wird das mystischen Verhältnis zwischen Christus und seiner Kirche mit der liebenden-leidenschaftsvollen Zuneigung eines Bräutigams zu seiner Braut verglichen, was deutlich darauf hinweist, dass in der patristischen Tradition bei der echten Art von Liebe und des erotischen Verbindens immer an die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau gedacht wurde. Dieses erotische Verbinden, dieses Liebend-Einander-Begegnen, findet seine mystische Zuspitzung im sakramentalen Leben der Kirche, im Sakrament der Ehe, weil die Ehe ein Geheimnis der Liebe ist. Nur in einer auf der Tugend gestützten Ehe kann man echte Liebe, Ruhe und sein Glück finden. Die Ehe hat nach Johannes Chrysostomos die Funktion eines „Hafens der Besonnenheit“, das beide Ehepaare vor jedem Sturm (Ungestüm der Natur) schützt.¹³ Der Sturm entsteht, wenn es zu Übertreibungen kommt: Das ist zum Beispiel der Fall bei einem Übermaß an Enthaltsamkeit. In seinem Kommentar von 1 Kor. 7, 5 äußert sich der Heilige Vater zu diesem Thema: „Christus hat angeordnet durch den Mund des Paulus, dass sich beide Ehegatten nicht einander entziehen dürfen; manche Frauen aber haben sich mit dem angeblichen Wunsch der Enthaltsamkeit, als ob sie etwas Frommes machten, von ihren Männern entfernt und haben sich selbst zum Ehebruch und ins Verderben geführt.“¹⁴

„Jeder darf sich dem Anderen außer im gegenseitigen Einverständnis nicht entziehen. Was soll das heißen? Weder die Frau, sagt Paulus, darf sich ihrem Mann entziehen, wenn es seinem Willen nicht entspricht, noch darf der Mann sich seiner Frau entziehen, wenn seine Frau es nicht will. Aus welchem Grund? Weil sich aus dieser Enthaltsamkeit viel Böses ergibt; weil sich daraus viele Ehebrüche, viel Unzucht und Familienzerstörungen ergeben haben.“¹⁵

Also alles mit Maß. Sich innerhalb der Ehe einander zu entziehen, widerspricht der Natur der Ehe, die eigentlich das Seelisch- und Leiblich-Einander-Begegnen zwischen Mann und Frau bedeutet. Ein solches sexuelles Verhalten entspricht der Natur der Ehe, und alle Menschen neigen von Natur aus dazu , weil jeder Mensch aus dem liebenden Verkehr zweier Menschen ins Sein gekommen ist! Gregor von Nyssa äußert sich deutlich dazu: „Ich weiß wohl, dass auch die Ehe der Segnung Gottes nicht ermangelt. Denn ein ausreichender Fürsprecher für die Ehe ist die allgemeine Natur der Menschen, welche all denen, die durch die Ehe ins Leben kommen, diese Neigung dazu automatisch eingeflößt hat.“¹⁶

Im patristischen Bewusstsein wird also auch anhand des biblischen Zeugnisses die Beziehung zwischen Mann und Frau als natürliches Verhalten betrachtet. Jede andere Art von Beziehung steht im Widerspruch mit dem natürlichen Ablauf der Natur.

Dieses unerschütterliche Festhalten der Orthodoxen Kirche an der Ehe zwischen Mann und Frau bedeutet zugleich keine Missachtung oder Verurteilung derjenigen Brüder in Christus, welche entschieden haben, eine andere Art von Leben zu führen. Die Orthodoxe Kirche weist gegenüber diesen Personen nicht nur eine Haltung von Toleranz auf.  Toleranz ist mehr als eine Idee. Sie ist nicht mit der Ethik des Mit-Leidens, das in der patristischen Tradition von ausschlaggebender Bedeutung zur Überwindung einer Schwäche ist, zu verwechseln. Toleranz bedeutet für die Orthodoxe Kirche Akzeptanz oder genauer gesagt Respekt der freien Entscheidung des Anderen. Die Kirche steigt herab zu den Schwächen jedes einzelnen Menschen, empfindet Mitleid für ihn, betet für ihn, arbeitet mit ihm zusammen, sodass er seine Schwächen überwinden kann. Die Kirche hält sich nicht von dem Menschen, der eine andere Gesinnung und Lebensweise als sie vertritt, fern, sie weist ihn nicht ab, sondern versucht, ihm in heilsamer, gerechter Weise die richtige Motivation zu einer Lebensänderung zu geben. Im Fall eines Scheiterns ihres Versuches, wenn sich der Andersdenkende für einen anderen Kurs in seinem Leben entscheidet, überlässt die Kirche das Werk dem Heil Gottes.

Der Weg zu Gott besteht im ständigen Kampf gegen unsere Schwächen, im ständigen Bemühen, sich selbst zu übertreffen. Im weiteren Streben nach der Überwindung unserer Schwächen, der kleinen und großen, liegt eigentlich der wahre Genuss, nicht in der Erreichung des Zieles selbst: „darin besteht in Wahrheit das Gottschauen, dass derjenige, der zu Gott aufschaut, nie von seinem Verlangen lässt“.¹⁷

Es ist leicht nachzuvollziehen, dass die Überlieferung der Kirche in ihrer tiefschürfenden Weisheit – durch das Sakrament der Ehe und der heilige Institution der Familie als „Hauskirche“ – seit jeher eine existentielle Wahrheit gelehrt hat, welche die jungen Generationen heute wieder zu entdecken scheinen, und so erfährt, dass Freude nicht gleich Genuss ist. Der Genuss „füllt“, aber nährt und sättigt nicht. Er lässt den Menschen immer hungrig und hinterlässt schließlich im Herzen des Menschen eine schreckliche Leere, von welcher manche Menschen leider denken, dass nur der Tod in der Lage wäre, sie zu besänftigen. Die Wahrheit, an welche uns Christus erinnert, ist ein Zeichen der Hoffnung für die Zukunft, ein Stern für das Morgen. Die Freude wird nicht aus dem Genuss geboren, sie entspringt vielmehr aus einem Leben der tief verwurzelten Kommunion und daraus, dass man für das geliebt wird, was man ist, jenseits aller Komplexe und Maskeraden.

Die Freude entspringt aus der Tatsache, sich von jemandem ohne Bedingungen geliebt zu fühlen, seine beste Seite in Bezug auf Intelligenz, Herz und Willen in einer authentischen Beziehung ausdrücken zu können. Die Freude ist eine Frucht der Liebe, welche der Mensch für Gott empfindet und welche er „aus ganzem Herzen, ganzer Kraft und ganzer Seele“ durch seine Existenz und fleischliche Liebe zum Ausdruck bringt. Diese Freude jedoch benötigt viel Zeit und Geduld, um ihre Vollständigkeit zu erreichen.

† Metropolit Arsenios von Austria

Vorsitzender der Orthodoxen Bischofskonferenz in Österreich

 

1   Vgl. H. Küng/J. Hoeren, Wozu Weltethos? Religion und Ethik in Zeiten der   Globalisierung. Hans Küng im Gespräch mit Jürgen Hoeren, Herder Spektrum 5227, Freiburg/Basel/Wien 2002.

2   Gen 1,26f; Vgl. Gen 9,6. Zum εἰκών siehe G. v. Rad, Art. εἰκών. D. Die Gottesebenbildlichkeit im: ThWNT 2 (1935), 388, H. Wildberger, Das Abbild Gottes Gen 1, 26-30, in: ThZ 21 (1965), 245-260; Der Mensch als Bild Gottes (Hg.), L. Scheffczyk, in: Wege der Forschung Bd. CXXIV, Darmstadt 1969.

3   Das Alte Testament und die Menschenrechte: Jörg Baur (Hg.), Zum Thema Menschenrechte Theologische Versuche und Entwürfe, Stuttgart 1977, 7.

4   Röm. 3, 22-24.

5   Gal. 3, 27f.

6   Hom. in Joh 8, 1 (PG 59, 65, 33-38). Vgl. auch Max. Conf., Questionae ad Thalassium 15, PG 90, : ‘’τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον, οὐδενὸς ἄπεστι τῶν ὄντων· καὶ μάλιστα τοῦ λόγου καθοτιοῦν μετειληφότων’’.

7   Epist. ad Cor., Hom XXIII, 3, PG 60, 619. ‘’ἀρχή καὶ τέλος τῆς ἀρετῆς’’.

8   Pestalozzi, Ansichten und Erfahrungen, 4 Brief, 6 (Ausg. Werke, 3 Bd., S. 332-333).

9   Mk 10, 6-9. Vgl. Gen. 1, 24.

10 Vgl. PG 60, 416-417. ‘’ἡ γὰρ γνησία ἡδονὴ ἡ κατὰ φύσιν ἐστίν΄΄.

11 Eph. 5, 32

12 Vgl. Greg. Nyss., Hom. 11 (zu Cant. 5, 2c-f).

13 Vgl. De Virginitate 9, 1: λιμήν ... σωφροσύνης τοῖς βουλομένοις αὐτῷ χρῆσθαι καλῶς, οὐκ ἀφιεὶς ἀγριαίνειν τὴ φύσιν.

14 In Math. Evangellium Hom. 86, PG 58, 768

15 Hom. 19, PG 61, 152.

16 De Virg. 7 PG 46, 353: οὐ γὰρ ἀγνοοῦμεν ὅτι καὶ οὗτος τῆς τοῦ θεοῦ εὐλογίας οὐκ ἡλλοτρίωται. Ἀλλ’ ἐπειδὴ τούτου μὲν αὐτάρκης συνήγορος καὶ ἡ κοινὴ τῶν ἀνθρώπων φύσις ἐστὶν αὐ­τό­μα­τον τὴν πρὸς τὰ τοιαῦτα ροπὴν ἐντιθεῖσα πᾶσι τοῖς διὰ γάμου προϊοῦσιν εἰς γένεσιν…

17 Greg. Nyss., Vita Moysis PG 44, 404A. ‘’ἐν τούτῳ ὄντος τοῦ ἀληθῶς ἰδεῖν τὸν θεόν, ἐν τῷ μὴ λῆξαι ποτε τῆς ἐπιθυμίας τὸν πρὸς αὐτὸν ἀποβλέποντα’’.

Quelle: www.orthdoxe-kirche.at